Antonio González: Kirchenverfolgung in El Salvador

KIRCHENVERFOLGUNG IN EL SALVADOR. DIE ROLLE DER KATHOLISCHEN UNIVERSITÄT (UCA)

Antonio González

Wenn man hier in Europa über die Verfolgung der Kirche bzw. der Kirchen in El Salvador spricht, denkt man zunächst an die Ermordung vom Erzbischof Romero vor zehn Jahren, oder an die Ermordung der sechs Jesuiten an der katholischen Universität, mit denen ich zwei Jahren gelebt und gearbeitet habe. Darüber muß man natürlich auch sprechen, aber ich meine, daß diese bekannten Fälle nur ein kleiner Teil der Wahrheit sind, vielleicht nur der Gipfel eines Eisberges.

Um das zu erklären, werde ich mich zunächst allgemein auf die Art und Ziele der Kirchenverfolgung in El Salvador beziehen. Danach werde ich über die Zunahme dieser Verfolgung unter der jetzigen Regierung berichten. Schließlich möchte ich die Gründe und die theologische Relevanz dieser Verfolgung in Erwägung ziehen.

1. Der Rahmen der Verfolgung.

Als eine ökumenische Kirchendelegation aus Deutschland in Februar-März dieses Jahres El Salvador besuchte, haben sie sich auch mit Oberst Ponce getroffen. Er ist der Chef des Generalstabes und Führer der sog. "Tandona", das ist die Offiziersgruppe aus dem Jahrgang 1966 der Militärakademie. Diese Gruppe hat im Juni 1988 die Macht in der Armee übernommen und eine stärkere Repressionswelle gegen alle Oppositionskräfte angefangen, die bis heute noch besteht. Trotz der Ereignisse von November 1989 (Bombardierungen einiger Stadtviertel, Mord an den sechs Jesuiten durch eine Armeeeinheit) genießt Oberst Ponce noch immer die Unterstüzung der USA und kann sogar der nächste Verteidigungsminister sein. In seinem Büro hängt ein Studiumstitel der Bundeswehr. Er hat gegenüber der Delegation behauptet, daß die Kirche nicht verfolgt wird, daß es keinerlei Anweisungen dieser Art gebe. Die Begründung war folgende: "Die Kirchen haben eine große Macht. Eine Verfolgung hätte fatale Konsequenzen".1

Das ist -ironischerweise- ganz richtig und beschreibt gerade einen springenden Punkt: die salvadorianische Kirche wird im Prinzip nur insofern verfolgt, als das nicht allzu schlechte Konsequenzen für die Armee und für die Regierung bedeutet. Das hat zunächst zwei Folgen, die die Verfolgung der salvadorianischen Kirche charakterisieren und die sich von anderen Verfolgungen in der Kirchengeschichte unterscheiden: Erstens handelt es sich nicht um eine allgemeine Ausrottungspolitik des Christentums und auch nicht im Prinzip um eine generelle Verfolgung aller Christen oder aller Mitglieder einer bestimmten Kirche. Zweitens werden die führende Kräfte und die Hierarchie der Kirche (Bischöfe, Prister, Ordensleute) im Prinzip nicht verfolgt und manchmals sogar höflich behandelt.

Das Hauptziel der Verfolgung trifft demnach gerade die Mitglieder der Kirche auf der mittleren Ebene: die Katechisten, die Pastoralreferenten/Innen, die Leiter der Basisgemeinden, die sog. "delegados de la palabra", usw.: Sie sind einerseits eine wichtige Institution in der salvadorianischen Kirche, wo es tatsächlich viel weniger Priester (pro Christ) gibt als in Europa, und sie leiten in der Regel vor allem auf dem Land einen großen Teil der Basisarbeit. Anderseits sind sie im Land nicht bekannt genug und haben wenige Kontakte im Ausland. Ihre Inhaftierung, Verschleppung oder sogar ihr Tod wird national kaum und international überhaupt nicht bemerkt. Ihre Verfolgung hat keine "fatalen Konsequenzen" für die Armee.

Die Verfolgung der Kirche in El Salvador ist deswegen nicht nur durch die Ermordung von 17 Priestern, 4 Ordensschwestern und einem Bischof zu beschreiben, sondern in erster Linie durch Hunderte namenlose (für uns namenlose!) Mitarbeiter der christlichen Gemeinden. Es handelt sich in erster Linie um eine Verfolgung der "organisierten Armen". So wird die Kirche vor allem als "Kirche der Armen" verfolgt. In der Pfarrei, wo ich gearbeitet habe, wurden in den letzen zwei Jahren mehrere Pastoralreferenten inhaftiert und brutal gefoltert. Eine Pastoralreferentin wurde durch das Elitebataillon "Atlacatl" entführt und vergewaltigt und ein Kathechist erschossen. Eine Ordensschwester mußte das Land verlassen und der Pfarrer, Ignacio Martín-Baró SJ wurde in Novermber ermordet mit den anderen fünf Jesuiten. Nur in diesem letzten Fall haben die Verfolger ihre Prinzipien überschritten, und nur in diesem Fall hat ihr Verbrechen einige (natürlich nicht viele!) "fatalen Konsequenzen" für sie gehabt.

Hier ist wichtig zu bemerken, daß diese Verfolgungsweise ganz mit der durch die USA geleiteten Kriegesführungsstrategie zusammenpaßt. Die sog. "Kriegsführung niedriger Intensität" hat als Hauptziel nicht einfach die militärische Vernichtung der Guerrilla und der anderen oppositionellen Kräfte, sondern eine militärische Bekämpfung der Guerrilla, die durch eine politische "Eroberung" der "Köpfe und Herzen" der Zivilbevölkerung begleitet wird2. Dafür gilt es, einerseits die Bevölkerung durch eine gut gezielte Repression zu beängstigen, und anderseits ihr wirtschaftliche und soziale Vorteile anzubieten, wenn die Bewohner eines bestimmtes Ortes sich kontrollieren lassen und sich von den oppositionellen und gefährlichen Institutionen wie u.a. der (Basis-)Kirche distanzieren. Innerhalb dieser Strategie ist auch die Rolle der wirtschaftlichen Hilfe und der vom Ausland finanzierten sozialen Programme zu verstehen. Und hier trägt Europa und nicht nur die USA eine große Verantwortung.

Innerhalb dieser Strategie ist gerade auch die oben beschriebene Kirchenverfolgung zu verstehen. Es ist dementsprechend falsch zu behaupten, daß erst mit der derzeitigen ARENA-Regierung oder mit der "Tandona" die Verfolgung gegen die salvadorianische Kirche angefangen hat. Die hier beschriebene Verfolgung gab es schon unter den Christdemokraten von Napoleón Duarte, denn gerade mit ihnen haben die USA ihre Kriegsstrategie eingeführt. Die Tandona und die ARENA-Regierung haben einfach die ihnen vorgesetzen Grenzen teilweise überschritten.

2. Die Verfolgung unter der Arena-Regierung

Wenn man die Repression und Verfolgung unter der ARENA-Partei erklären will3, muß man zunächst zwei Punkte beachten: Die ARENA istdie Partei der Oligarchie und der Großgrundbesitzer, die die entscheidenden Oppositionellen der sozialen Reformen der Christdemokraten und der USA-Politik für El Salvador gewesen sind. Ein großer Teil der Oligarchie hat sich immer gegen die "Kriegsführung niedriger Intensität" ausgesprochen, weil diese Strategie der USA soziale Reformen einschließt, die ihre Interessen widersprechen. Dazu kommt die Meinung vieler Kreise der Armee, die denken, daß so viele Hemmungen und politische Maßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung nichts bringen und daß durch eine stärkere Repression der Krieg in wenigen Monaten beendet werden könnte. Zweitens darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß schon vor dem Amtsantritt der ARENA-Regierung, als die "Tandona" die Macht in der Armee übernommen hatte, die Repression entscheidend verschärft wurde. Der Mord an dem Leiter der unabhängigen Menschenrechtskommission Herbert Anaya Sanabria ist ein gutes Beispiel dafür. Die ARENA-Regierung ist auf politischer Ebene nur die Bestätigung eines Prozesses, der schon lange durch die entscheidenden Mächte des Landes (Armee und Oligarchie) begonnen wurde.

Mit dem Amtsantritt der ARENA-Regierung im März 1989 hat aber die Verfolgung nicht nur gegen andere Volksorganisationen, sondern auch explizit gegen die Kirche zugenommen. Die Regierung hat mehrere ausländischen Mitarbeiter aus dem Land verwiesen und vor allem ihre Propaganda gegen die Kirche gerichtet. Ein Pfarrer wurde durch den Vizepräsidenten offiziell im Fernsehen für einen Bombenanschlag verantwortlich gemacht; die Predigten der Bischöfe wurden von der Armee als tendenziös und parteilich verurteilt. Damals wurde schoen die Universidad Centroamericana José Simeón Cañas (UCA) Hauptziel dieser Kampagne. Die Oligarchie El Salvadors betrachtet die Jesuiten im Land schon seit langem als Erzfeinde. Nach ihrer Meinung sind die Jesuiten durch ihre Tätigkeit an der Universität die Hauptverantwortlichen für die Änderungen in der salvadorianischen Kirche nach dem 2. Vatikanischen Konzil und für die Subversion im Land überhaupt.

Die UCA hat schon seit den siebziger Jahren ihre Verantwortung in El Salvador nicht nur als eine bloß akademische verstanden. Obwohl sie sich bemüht, eine qualifizierte Universität zu sein, versteht die UCA ihre intellektuelle Rolle als christlich inspirierte Universität in El Salvador vor allem als ein Beitrag dazu, das Land besser kennen zu lernen, um es besser verändern zu können. Das bedeutet einerseits den Versuch, durch die verschiedenen Wissenschaften und Disziplinen (Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Sozialpsychologie usw.) die nationale Situation gründlich zu untersuchen. Aber zugleich verstehtt sich die Universität selbst als eine soziale Kraft, die als solche, mit anderen Universitäten, Gewerkschaften, Kirchen, usw., eine politische -wennoch nicht parteipolitische- Verantwortung für die Gerechtigkeit und den Frieden in El Salvador trägt.

Das ist natürlich für manche Gruppen der Oligarchie und der Armee sehr unangenehm. Im Juli 1989 haben ein Pressekommuniquée der ARENA-Partei und eine Presseanzeige der Armee Pater Segundo Montes SJ, einen der jetzt Ermordeten Jesuiten, schon als Anhänger der Guerrilla bezeichnet. Der heutige Vizeverteidigungsminister, Oberst Zepeda, hat die UCA öffentlich und wiederholt als strategischen Hort der Terroristen verdächtigt4. Obwohl er in November 1989 der Vorgesetzte des wegen Mordes an den Jesuiten angeklagten Oberst Benavides war, ist er bis heute noch nicht verhört worden.

Die USA Regierung hat in diesem Zusammenhang eine sehr negative Rolle gespielt. Die militärischen und politischen Strategen der USA wollten im Grunde die ARENA-Partei nicht, denn sie hatten mit zwei Regierungsperioden der Christdemokraten gerechnet, um die Gerrilla politisch und militärisch schlagen zu können. Nach dem Zusammenbruch der Christdemokraten verfügten sie aber über keine andere Alternative, als die ARENA-Pertei und die Armee weiter zu unterstüzen. Es bestanden Differenzen über die Art und Weise der Kriegsführung, aber das Entscheidende blieb gemeinsam: Sowohl die Armee als auch die USA haben immer die Möglichkeit einer Verhandlungslösung abgelehnt und für beide ist das Zeil gewesen, jede Teilnahme der Opposition an der Macht zu verhindern5.

Gegenüber den Kritikern in den USA wurde dann die Theorie entwickelt, daß, obwohl die ARENA-Partei durch den ehemaligen Führer der Todesschwadronen Roberto D'Abuisson gegründet und geleitet wird, der Präsident Cristiani eine ganz andere liberale und demokratische Richtung vertrete. Diese auf jeden Fall geringen Unterschiede, die es tatsächlich gibt, wurden nicht erwähnt, um die rechtsextreme Richtungen zu isolieren, sondern einfach um die Weitergabe der Militärhilfe zu rechtfertigen. Als z.B. Cristiani in September letzten Jahres ohne Beteiligung der Armee Gespräche mit der Guerrilla aufgenommen hatte, haben die USA das begrüßt, aber einige Tage später eine Erhöhung der Militärhilfe auf 85 Millionen US-Dollar jährlich gebilligt, diesmal ohne Bedingungen bezüglich der Menschenrechte zu stellen. Das war ein klares Signal an die Armee und an die Todesschwadrone: einfach ein Blankoscheck. In diesem Zusammenhang ist das baldige Scheitern der gut angefangenen Gespräche, das Großattentat gegen die Gewerkschaftsführung von FENASTRAS im Oktober und die Großoffensive der Guerrilla in November 1989 zu verstehen.

In diesem Zusammenhang ist auch der Mord an den Jesuiten der UCA zu erklären. Es handelt sich nicht um eine isolierte Aktion eines verzweifelten Offizieres. Als die Offensive der Guerrilla anfing, hat die Armee versucht, alle oppositionellen Kräfte auf einmal zu vernichten. Das wurde allen Indizien nach in einer Versammlung der wichtingsten Offiziere im Generalstab beschlossen6. Ein bekannter Oberst hat sogar vor der Presse erklärt: "Jetzt ist die Gelegenheit, alle Terroristen zu beseitigen". Nicht nur die Universität, sondern viele Pfarreien, Büros, zivile und religiöse Einrichtungen und sogar das Haus des Erzbischofs wurden in diesen Tagen von der Armee durchsucht. Die Jesuiten sind praktisch die einzigen, die zu Hause geblieben sind, weil sie nie dachten, daß die Verfolgung so weit gehen könnte. Ihr Mord ist demnach kein Zufall, es handelt sich vielmehr um den Höhepunkt einer durch die Armee 1988 angefangenen, durch die ARENA-Partei ab 1989 verschärften und durch die USA (und andere ausländischen Verbündente) tolerierten und gebilligten Politik.

Erst als dieser Höhepunkt erreicht wurde, haben sich die USA und die anderen europäischen Geldgeber die Frage gestellt, ob es noch möglich ist, die Unterstüzung dieser Armee und dieser Partei gegenüber der jeweiligen öffentlichen Meinung zu rechtfertigen. Die US-Regierung will die Entwicklungs- und Militärhilfe weitergeben, aber findet einen heftigen Widerstand im Kongreß. Die Bundesrepublik hat einen (kleinen) Teil der Unterstützung eingestellt. Es handelt sich um winzige Schritte, aber sie haben schon dazu beigetragen, daß die Verhandlungen weiter als je gegangen sind und daß zum ersten Mal die Armee einen Oberst zu den Gesprächen geschickt hat. Nur wenn der Druck anhält, wird es zu weiteren Schritten kommen und erst innerhalb dieses Verhandlungsprozesses ist es möglich, das die Repression im allgemein und die Verfolgung der Kirche im konkreten abnimmt, was bisher nicht der Fall ist.

3. Der Grund der Verfolgung.

Wir haben bisher nur den Rahmen und die wichtigste Merkmale der Verfolgung beschrieben. Es ist aber wichtig auch die Ursachen dieser Verfolgung explizit zu betrachten. Die Gründe der Verfolgung hat der schon oben erwähnte Führer des Generalstabes, Oberst Ponce, in dem selben Gespräch sehr klar angedeutet: "Die Kirche wird von der Armee respektiert, solange sie ihre spirituellen Aufgaben wahrnimmt; eine kleine 'Soldaten-bibel' wird jetzt herausgegeben und verteilt"7.

Ich meine, daß diese Behauptung ziemlich zutreffend ist. Die Kirche in El Salvador wird nicht deswegen verfolgt, weil sie eine bestimmte Lehre vertritt, die einem Reich oder einem Kaiser gefährlich scheint; sie wird auch nicht deswegen verfolgt, weil sie als Vertreterin einer fremden Kultur oder einer kolonialen Metropole erfahren wird; und sie wird nicht einmal deshalb verfolgt, weil ihre institutionelle Macht einem nationalen oder nationalistischen Staat als Konkurrez erscheint. Dies sind wichtige Gründe der Verfolgung in der Kirchengeschichte gewesen. Aber die Verfolgung der salvadorianischen Kirche und der lateinamerikanischen Kirche überhaupt hat andere Gründe. Die salvadorianische Kirche kämpft nicht für ihre theologische Dogmen, sie kämpft auch nicht für eine bestimmte Kultur oder für ihre Institutionalität. Nur weil sie für die Armen kämpft und nur insofern sie das tut, wird sie durch die Armee und durch die Todesschwadronen verfolgt. So hat es Erzbischof Romero ausgedrückt: "Der Grund der Verfolgung der Kirche sind die Armen. Wieder sind es die Armen, die uns begreiflich machen, was wirklich geschehen ist. Deshalb versteht die Kirche ihre eigene Verfolgung von den Armen her. Die Kirche nimmt im Grunde nur das Schicksal der Armen auf sich"8.

Diese Art der Verfolgung hat zwei Folgen. Einerseits wird nicht die ganze Kirche verfolgt, sondern nur ein Teil derselbe. Wenn die Kirche sich auf die sog. spirituellen Aufgaben beschänkt, d.h., wenn sie die Rolle wahrnimmt, die die Mächtigen dieser Welt für sie bestimmt haben, dann wird die Kirche nicht verfolgt. Dieser nicht verfolgte Teil der Kirche wird besonders geschützt und hofiert. In El Salvador hat die ARENA-Regierung eine bewußte Spaltungspolitik gegenüber der Kirche und ihren Bischöfen geführt. Die Folgen auf dieser Ebene sind ziemlich weit gegangen. Als in Dezember letzen Jahres mit dem Mord an den Jesuiten, den Todesdrohungen an den Bischöfen San Salvadors, und der Inhaftirung von mehreren Pastoralarbeitern die Repression gegen die Kirche besonders heftig wurde, hat eine Regierungsdelegation Europa und vor allem Rom besucht, um dort zu erklären, daß es keine Kirchenverfolgung gäbe, und daß der Mord an den Jesuiten mit aller Wahrscheinlichkeit eine Sache der Guerrilla gewesen sei. Ein katholischer Bischof aus El Salvador hat diese Regierungsdelegation begleitet.

Anderseits teilt die verfolgte Kirche ihr Schicksal mit dem Schicksal anderer Menschen und anderer Volksorganisationen die auch für die Armen eintreten. Bischof Romero meinte, daß es traurig wäre, wenn in einem Land wo tausende von Menschen so grausam ermordet werden, die Kirche nicht verfolgt würde9. Nach der unabhängigen Menschenrechtskommission hat die Armee seit dem Regierungsantritt Christianis, am 1. Juni 1989, 2868 Morde begangen10. Freilich waren nur ein Teil dieser Opfer kirchliche Mitarbeiter. In El Salvador geht es nicht direkt um eine ideologische, eine kulturelle, eine konfessionelle Auseinandersetzumg, sondern primär um die Verteidigung der Menschenrechte, um die Verteidigung der Rechte der Armen. Dort ist zwar die Mehrzahl der Bevölkerung katholisch, auch innerhalb der linken Opposition, aber in dem Kampf für Gerechtigkeit trifft sich die Kirche mit Menschen anderer Weltanschauungen und auch hat die Ökumene eine andere Bedeutung. Der Treffpunkt der Konfessionen ist in erster Linie weder die theologische Diskussion noch der liturgische Ausgleich, sondern ein zentrales Element des christlichen Glaubens: die Option für die Armen und das davon untrennbare Kreuz.

4. Die theologische Bedeutung.

Man könnte sich hier fragen, ob die Identität der Kirche nicht durch diese Situation gefährdet wird. Die Gründe der Verfolgung scheinen einfach sozial zu sein, und das heißt -für eine bestimmte Mentalität- bloß "säkuler". Es wird versucht, die Kirche zu spalten und die engagierte Kirche trifft sich mit anderen Kirchen und auch mit Nichtchristen. Führt das nicht zu eine Selbstauflösung? Bedeutet das nicht das Vergessen von dem, was dem Christentum wesentlich ist, nämlich "das Transzendente"?

Meiner Meinung nach, darf man natürlich nicht bestimmte Gefahren ignorieren. Aber ein Identitätsverlust ist jedoch nicht nicht die Erfahrung der Christen in El Salvador. Im Gegenteil: Wer die salvadorianische Kirche kennt, weiß, daß sie eine besonders lebendige und dynamische Kirche ist. Durch den Kontakt mit den salvadorianischen Christen haben viele Menschen die Ernsthaftigkeit und Kraft des Evangeliums neu erlebt und sogar den Glauben entdeckt.

Im konkreten Fall der Verfolgung, kann man dieses Erlebnis so ausdrücken: Für die Kirche El Salvadors handelt es sich nicht nur um eine politische Repression, sondern um Kirchenverfolgung und Martyrium. Einige würden wahrscheinlich sagen, daß es nach dem traditionellen theologischen Verständnis Martyrium ausschließlich dort gibt, wo der christliche Glaube als solcher verfolgt wird. Wenn die Gründe der Verfolgung sozial und politisch sind, ist das vielleicht menschlich sogar bewundernswert, hat aber nichts direkt mit dem Glauben zu tun. In der Tat hat jedoch jede Kirchenverfolgung in der Geschichte seit den ersten Jahrhunderten bis zum heutigen Tag mehrere politische Gründe gehabt. Deshalb ist die Frage nicht, ob die Verfolger politische Gründe haben, weil das immer der Fall ist, sondern ob die Kirche wegen ihrer Treue zum Evangelium verfolgt wird. Wenn letzteres der Fall ist, bedeutet das Martyrium nicht nur einen Ausdruck dieser Treue und ein Zeugnis des Glaubens, sondern auch einen möglichen Zugang zum Christentum und zu seinem Selbstverständnis in einer bestimmten Epoche. Und ich meine, das ist bei der Kirche El Salvadors der Fall:

a)Phänomenologisch betrachtet, muß man sagen, daß das Martyrium, das die Christen in El Salvador und in ganz Leteinamerika erleben, dieselbe Art vom Martyrium ist, die der Gründer der christlichen Religion vor zwei Jahrtausenden erlitten hat. Er wurde nicht als religiöser Abtrünniger gesteinigt, sondern als aufrührerischer Rebell gekreuzigt. Die Christen in El Salvador werden aus denselben Gründen ermordet wie Jesus. Und das war vielleicht nie in der Kirchengeschichte so deutlich. Die christlichen Gemeinden El Salvadors haben Gerechtigkeit gefordert, haben soziale und internationale Lügen aufgedeckt und haben so das wahre Antlitz Gottes gezeigt: Ein Gott, der die Armen liebt11 und der sich auf ihre Seite stellt. Und genau das ist es, was sie zum Martzrium geführt hat.

b)Darin besteht gerade die theologische Relevanz: Die Christen in El Salvador sind nicht deswegen verfolgt, weil sie irgend welche sozialen, caritativen oder politischen Konsequenzen aus irgend einer Theologie oder aus irgend einer christlichen Soziallehre einfach abgeleitet haben. Es handelt sich nicht um eine Option, die den Glauben nur sakundär betrifft. Es ist nicht nur eine Frage der "Sozialethik" oder der "Caritas". Die salvadorianischen Christen werden vielmehr wegen der zentralen Frage des christlichen Glaubens verfolgt. Deswegen ist die Identität der Kirche nicht in Gefahr. Die sog. Option für die Armen, die in El Salvador eine Option der Armen selbst ist, ist der Versuch einer Antwort auf die Frage nach dem wahren Antlitz Gottes. Monseñor Romero12 und Ignacio Ellacuría13, einer der ermordeten Jesuiten, hatten es so ausgedrückt: Das verfolgte und gekreuzigte Volk stellt den Leib Christi in der Geschichte dar, und ist deswegen der "theologische Ort" (locus theologicus), wo man Christus heute folgen oder ablehnen kann.

Das mag vielen etwas fremd klingen, es hat aber eine konkrete Bedeutung. Ein europäischer Theologe hat vor kurzem behauptet, daß die Befreiungstheologie schon veraltet sei; nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hätten diese marxistischen bzw. utopischen Sachen keine Bedeutung mehr. Leider ist es nicht so. Leider verschwinden die Armen nicht wenn unsere Theorien über die Armut verschwinden oder wenn unsere Weltanschauungen sich ändern. Auch wenn es keine Befreiungstheologie mehr gäbe, wird die Armut, die Unterdrückung und die Ausbeutung nicht automatisch aus der Welt geschaft. Tatsächlich wird immer deutlicher, daß die Armut der sog. "dritten Welt" und besonders in Leteinamerika im nächsten Jahrzehnt noch zunehmen wird.

Wenn dies die Situation ist, bleibt die Kirchenverfolgung in einem so kleinen Land wie El Salvador keine exotische Besonderheit. Sie ist viellmehr eine Erinnerung daran, wo die Hauptprobleme dieser Welt liegen: Sie sind nicht in erster Linie ideologisch oder kulturell. Es handelt sich vielmehr um das Problem einer "Weltordnung", die Massenarmut, Krieg und Tod weiterhin verursacht. Solange diese massenhaften Armut gibt, wird auch -hoffentlich- die Kirche verfolgt werden.

1H.-B. MOTEL, Bericht der Reise einer ökumenischen Delegation aus der Bundesrepublik nach El Salvador vom 28. Februar bis 6. März 1990, S. 5.

2Eine ausführliche Beschreibung durch eigene Dokumente der amerikanischen Armeen in U.DUCHROW, G.EISENBÜRGER, J.HIPPLER (Hrsg.) Totaler Krieg gegen die Armen. Geheime Strategie papiere der Amerikanischen Militärs, München, 1989, 247 S.

3Über die jüngste Kirchenverfolgung und Repression in El Salvador informieren u.a. die Berichte des WASHINGTON OFFICE FOR LATINAMERICA Attacks Against the Church November 11-December 15, 1989 und Attacks on the Churches in El Salvador December 16, 1989 - February 10, 1990. S. auch Basta ya, einen Bericht einer Delegation von Ordensleuten der BRD nach El Salvador vom 2.-10.2.1990.

4Vgl. Carta a las Iglesias, San Salvador, num. 192, S.4-8

5Erst 1988 haben die USA zum ersten mal die Möglichkeit einer Verhandlungslösung des Krieges ernsthaft in Erwägung gezogen.

6Über die Durchführung des Mordes und die wahrscheinliche Verwicklung höherer Kreise der Armee sind der Bericht des US-Kongresses (sog. "Moakely Report") von 30.4.90 und der Bericht des Lawyers Committee for Human Rights von 12.4.90 sehr lesenswert.

7H.-B.MOTEL, ebd., S.4.

8O.A. ROMERO, Vortrag aus Anlaß der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Löwen am 2.Februar 1980, in M.SIEVERNICH (Hg.) Impulse der Befreiungstheologie für Europa, München-Mainz 1988, S. 61-62.

9Vgl. Predigt von 24.6.1979, in: J. SOBRINO, I. MARTIN BARO, R. CARDENAL, La voz de los sin voz, San Salvador, 1980, S.454.

10Frankfurter Rundschau 1.6.90, S.6

11Vgl. J. SOBRINO, "The grestest Love", in Sojourness, April 1990, S. 16-21.

12Vgl. Vortrag aus Anlaß der Verleiung der Ehrendoktorwürde in Löwen, ebd., S.62.

13Vgl. "El pueblo crucificado", in Conversión de la Iglesia al Reino de Dios. Para anunciarlo y realizarlo en la historia, Santander, 1984, S. 25-63.